LEISE RIESELT DER KALK

Wenn Oma oder Opa, Mama oder Papa an Demenz erkranken, ist das auch ein Thema für die Angehörigen. Denn sie verlieren einen geliebten Menschen Tag für Tag ein bisschen mehr. Und kommen mit dessen zunehmenden Verhaltensänderungen nur äußerst schwer zurecht.
Mein Schatz, wie war’s denn heute in der Schule?‘  –  Eigentlich  keine  unge-wöhnliche Frage, die mir meine Mutter  da  stellte.  Aber  zu  dem  Zeitpunkt  war  ich bereits  40  und  hatte  selbst  Kinder“,  erinnert sich Marcus. „Ich war wie jede Woche zu Besuch bei meinen Eltern und verstaute die Ein-käufe im Kühlschrank. Gerade hatten wir noch herumgealbert.  Und  dann  wie  aus  heiterem Himmel  diese  Frage  aus  dem  Munde  einer Frau, die mich früher regelmäßig im Kopfrechnen  besiegt  hatte.  Und  die  früher  immer scherzhaft  brummte:  ‚Leise  rieselt  der  Kalk‘, wenn ihr etwas partout nicht einfallen wollte. Mir schwante Übles.“ Marcus’ leiser Verdacht bestätigte sich leider: Seine Mutter litt an einer beginnenden  Alzheimer-Demenz.  Verwirrtes Verhalten und merkwürdige Fragen sollten sich bei  der  damals  72-Jährigen  in  den  nächsten Monaten und Jahren noch häufen. Marcus und der  Rest  der  Familie  wiesen  sie  anfangs  mit leicht genervtem Unterton zurecht. Und auch Marcus’  Kinder  wunderten  sich,  weshalb  die sonst  so  quirlige  Omi  plötzlich  immer  öfter abwesend war und sie manchmal gar nicht zu erkennen schien. „Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, man hätte oft über manches Miss-geschick lachen können. Zum Beispiel über die immer  ausgefalleneren  Verstecke  für  Gebiss und Hörapparat.“
Eine Krankheit auf dem Vormarsch
Alois  Alzheimer  entdeckte  die  tückische Krankheit vor über 100 Jahren, die sich vor allem in Vergesslichkeit und Wahnvorstellungen ausdrückte. Von allen Demenzen ist Alzheimer mit  60  Prozent  die  am  weitesten  verbreitete Form und trifft vor allem ältere Menschen. Bis heute ist kein Kraut dagegen gewachsen. Nur die Symptome können mit Medikamenten etwas  gelindert  werden  –  vorausgesetzt,  die Krank  heit  wird  im  Frühstadium  erkannt. Marcus’ Erlebnisse sind also kein Einzelschicksal.  Viele  wünschen  sich  schon  frühzeitig  ein bisschen mehr Informationen. Jemand, der ihnen  ehrlich  erklärt,  wohin  die  Reise  der Großeltern  beziehungsweise  Eltern  letztlich geht. Und wie man mit diesem Wechselbad an Gefühlen,  wie  Mitleid,  Ärger,  Verzweiflung und Trauer, umgehen soll. Von den alltäglichen Herausfor der ungen  ganz  zu  schweigen.  „Demenz  ist  vor  allem  auch  eine  Krankheit  der Angehörigen“, beschreibt Bettina Witte, Heilpraktikerin für Psychothera pie, das Phänomen. „Und  dies  betrifft  nicht  nur  die  nächste Generation, sondern natürlich auch die Enkel, die – meist im Kindesalter – noch weniger ver-stehen, warum sich Oma oder Opa verändern.“ Zu versuchen, die Jüngsten von der Krank-heit  fernzuhalten,  ist  sicherlich  der  falsche Weg. „Kinder sind aufmerksame Beobachter“, meint  Dr.  Jürgen  Gohde  vom  Kuratorium Deutsche Altershilfe. „Und sie wollen eine Erklärung für das veränderte Verhalten. Ein Verschweigen der Wahrheit oder Ausflüchte sind nicht angebracht.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert